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Zwei Professoren rechnen nach: So teuer sind Garantien in der Lebensversicherung wirklich
Altersvorsorge und Garantien sind eng verwoben. Garantien traditioneller Machart sind in der Niedrigzinsphase aber schlichtweg zu teuer. Lebensversicherer haben bereits umgesteuert – jetzt müssen die Kunden folgen.
Im Herbst vergangenen Jahresspielte das Finanzministerium noch mit dem Gedanken, den Höchstrechnungszins für Lebensversicherer ganz abzuschaffen. Der auch als Garantiezins bekannte Satz stellt die maximale Zinshöhe dar, die Lebensversicherer ihren Kunden für ihre Sparbeiträge versprechen dürfen. Er ist eine Art Selbstschutz für die Branche, um sich im harten Wettbewerb nicht zu überhöhten, nicht einhaltbaren Versprechen hinreißen zu lassen. Mit den neuen Regeln von Solvency II, die mehr Eigenmittel bei höheren Garantiezusagen verlangen, schien dem Ministerium eine gesetzliche Maximalvorgabe überflüssig. Nach Kritik von vielen Seiten sind die Politiker zurückgerudert. Der Höchstrechnungszins bleibt. Aber die Kritik bleibt ebenfalls. Ende Mai handelte dann das Finanzministerium: Für Neuverträge ab Januar 2017 wird nur noch ein Garantiezins von 0,9 Prozent gelten. Das ist die sechste Senkung seit Juli 2000. Viel zu kurzfristig käme eine solche Änderung, beklagt der GDV, der Gesamtverband der Deutschen Lebensversicherer, und bekommt dabei sogar Schützenhilfe von der Deutschen Aktuarvereinigung, auf deren Empfehlungen die Zinssenkungen durch das Ministerium erfolgen. Frühestens zur Jahresmitte, besser zu Anfang 2018 hätte der Zins gesenkt werden sollen, meint der GDV. Die Unternehmen bräuchten zum einen mehr Zeit für Neukalkulationen, zum anderen erzielten Versicherer nach Daten des GDV selbst in der momentanen Niedrigzinsphase noch eine Rendite bei der Neuanlage von Kundengeldern, die deutlich oberhalb der Renditen von Staatsanleihen höchster Bonität liegt.
Allerdings betragen die Renditen von zehnjährigen Bundesanleihen seit 2015 weniger als 1 Prozent, und in den letzten Monaten lagen sie eher bei null als bei eins. Seit ihrem Höhepunkt Anfang der 1980er Jahre sind die Renditen von Staatsanleihen westlicher Industrieländer nicht linear, aber doch recht stetig gesunken – zum Teil bis unter die Nulllinie. Und das trifft die Lebensversicherer ins Mark. Denn Staatsanleihen sind ihr zentrales Anlageinstrument. Eine Kehrtwende beim Marktzins ist nicht in Sicht. Auch wenn die amerikanische Notenbank begonnen hat, die Zinsen zu erhöhen, ist Europa noch weit davon entfernt. Erst im März hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins nochmals gesenkt, auf 0 Prozent. Zudem hat sie ihr Anleihe-Ankaufprogramm aus-geweitet. Auch die anhaltenden Klagelieder der Versicherungsgranden und anderer Kritiker der Notenbankpolitik dürften EZB-Chef Mario Draghi nicht von seinem Kurs abbringen.
Nicht nur Versicherer betroffen
Das Dahinschmelzen des risikolosen Zinses betrifft nicht nur Versicherer – Garantien in der Kapitalanlage sind einfach deutlich teurer geworden. Anbieter von Garantien müssen diese über Investments in sichere Anlagen abdecken. Je geringer diese verzinst werden, desto mehr Kapital muss aufgebracht werden, um eine verlustfreie Anlage zu gewährleisten. In der Folge bleibt weniger Geld für den Kapital-aufbau, also für Investments in chancen-reichere Anlagen wie Aktien. Olaf Stotz, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management, hat sich die Garantiekosten genauer angeschaut. Er hat untersucht, welche Kosten einem Anleger bei einem langfristigen Sparplan für eine 100-prozentige Garantie der Sparbeiträge entstehen. Dazu hat er zwei Sparpläne miteinander verglichen: einen mit Kapitalerhalt, einen ohne. Die Differenz des mittleren Endvermögens der beiden versteht er als Garantiekosten – und die sind in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Warum die Absicherung so teuer geworden ist, zeigt schon eine einfache Berechnung. Ein Anleger startet an seinem 25. Geburtstag einen Sparplan über monatlich 50 Euro. Zu seinem 67. Geburtstag möchte er mindestens sein ein-gezahltes Kapital wiederhaben. Wie viel er für diese Garantie aufbringen muss, hängt von dem Zinsniveau und dem Ein-zahlungstermin ab. Nehmen wir nur die erste Sparplanrate: Bei einem unterstellten Zinsniveau von 5 Prozent müssten 6,44 Euro in sichere Anlagen fließen, der Rest der 50 Euro stünde für den Kapitalaufbau zur Verfügung. Liegt das Zinsniveau hingegen nur bei 1 Prozent, braucht der Anleger 32,92 Euro von den 50 Euro allein für die Kapitalsicherung. Für die chancenreichere Aktienanlage bleibt hier deutlich weniger übrig.
Garantien kosten Geld
Bei einer unterstellten Aktienmarktrendite von linear 8 Prozent werden aus der einen abgesicherten 50-Euro-Rate nach 42 Jahren 1.154 Euro, bei einem 5-prozenti-gen Zinsniveau, bei 1 Prozent werden es nur 508 Euro. Würde der Anleger komplett auf die Garantie verzichten und die gesamten 50 Euro in Aktien investieren, käme er auf 1.267 Euro. Dies ist nur die Berechnung für die erste Monatsrate, bei einem Sparplan summieren sich die Differenzen auf. In der Studie geht Stotz nicht von einer einfachen linearen 8-Prozent-Rendite am Aktienmarkt aus, sondern von einem Mittelwert aus der Simulation mehrerer Verläufe. Die Ergebnisse zeigen eine eindeutige Tendenz: Das stark gesunkene Zinsniveau hat die Kosten für die Garantien sprunghaft steigen lassen. Zu Anfang des Beobachtungszeitraums (im Jahr 2000) lagen sie noch unter der Summe der eingezahlten Anlagebeträge, in den letzten Jahren sind die deutlich darüber gestiegen. Dieses Kernergebnis zeige sich laut Stotz stabil für verschiedene Anlegertypen und verschiedene Annahmen zum Kapitalmarktumfeld. Im Beispiel des oben genannten 25-Jährigen mit seinem abgesicherten 50-Euro-Sparplan bis 67 liegen die Garantiekosten im sechststelligen Bereich und sind mehr als fünf Mal so hoch wie die eingezahlten Beiträge. Diese Kosten sind von vielen schwer zu greifen, da es keine direkt zu zahlen-den Gebühren sind, sondern vielmehr entgangene Erträge. Dennoch hält Stotz sie für sehr wichtig: „Ohne Transparenz der Garantiekosten liegt die Vermutung nahe, dass Anleger in ihrer Altersvorsorge keine optimale Entscheidung treffen können.“ Dem Anleger sei zwar die Leistung der Garantie bewusst, die Kosten und insbesondere deren starker Anstieg in den vergangenen Jahren hingegen kaum. „Würde er sie kennen, dann könnte er den Preis für die Garantie mit der Leistung vergleichen, er könnte dann mit Kenntnis des tatsächlichen Preis-Leistungs-Verhältnisses eine bessere Entscheidung für die Altersvorsorge treffen“, erklärt der Asset-Management-Professor. Garantien spielen nicht nur beim Vermögensaufbau, also in der Ansparphase einer Versicherung, eine Rolle. Bei einer lebenslangen Verrentung – der Königsdisziplin der Lebensversicherer – sind sie ebenso wichtig. Bei klassischen Rentenpolicen muss sichergestellt sein, dass mindestens eine garantierte regelmäßige Zahlung bis ans Lebensende fließt. Auch ist der Garantiezins entscheidend, denn er gilt nicht nur für die Anspar-, sondern auch für die Auszahlphase. „Die Ermittlung einer garantierten lebenslangen Rente erfolgt anhand der Mindestverzinsung. Dabei gilt: Je größer diese ist, desto höher ist eine lebenslange Garantierente“ erläutert Michael Hauer, Geschäftsführer des Instituts für Vorsorge und Finanzplanung (IVFP) und Professor an der Hochschule Amberg-Weiden. Das Institut hat untersucht, wie sich Garantien in der Rentenbezugsphase auswirken. Die Experten haben errechnet, wie viel Vermögen nötig ist, um eine bestimmte lebenslange Mindestrente zu erhalten, und wie sich diese Vermögenssumme in den vergangenen 15 Jahren verändert hat. Die Unterschiede zu früher sind eklatant. „Unter der Annahme der Unisex-Tarifierung wäre im Jahr 2000 ein Einmalbeitrag von rund 18.200 Euro notwendig gewesen, um einem 65-jährigen Versicherungsnehmer darstellen, haben heutige 65-Jährige im Schnitt sieben Jahre mehr zu leben, als es 65-Jährigen im Jahr 1994 beschieden war. „Rechnet man die biometrischen Faktoren heraus, liegt der Anstieg des benötigten Vermögens seit dem Jahr 2000 bei 41 Prozent“, sagt Hauer. Und der Anstieg dürfte sich fortsetzen. Zum einen ist es mehr als wahrscheinlich, dass die Lebenserwartungen auch künftig weiter steigen. Zum anderen ist ein Absenken des Höchstrechnungszinses kaum aufzuhalten – höchstens etwas zu verschieben. Bei einem Garantiezins von 0,9 Prozent sind dann schon über 30.000 Euro für eine sichere, lebenslange 100-Euro-Monatsrente fällig. Oder hochgerechnet: Wer seinem Versicherer mit 65 Jahren 300.000 Euro überweist, bekommt künftig nur knapp 1.000 Euro pro Monat zurück. Da die Deutschen, wie der GDV festgestellt hat, eher dazu neigen, ihre Lebenserwartung zu unterschätzen, dürfte sie ein solches Angebot nicht gerade umhauen.
Die Neue Klassik übernimmt
Zählt man dann noch die finanzielle Anstrengung hinzu, die es mit einer klassischen Lebensversicherung braucht, um dieses Vermögen überhaupt aufzubauen, überrascht es nicht, dass sich die Versicherer weitgehend, manche auch komplett, aus dem Neugeschäft mit klassischen Policen zurückgezogen haben. Die „Neue Klassik“ hat übernommen: Sie funktioniert ähnlich wie die alten Klassiker, weicht die Garantien aber etwas auf, um mehr Geld in Risikoanlagen stecken zu können. Eine einheitliche Vorgehensweise der Versicherer gibt es allerdings nicht und auch keine klare Definition, welche Produkte in die Kategorie fallen. Das IVFP ordnet hier 14 Produkte ein. Das wohl bekannteste Angebot dieser Art ist „Perspektive“ von der Allianz. Der Garantiezins wird hier nicht mehr jedes Jahr zugesichert, sondern nur zum Ende der Ansparphase. Die Überschussbeteiligung hingegen wird wie bei der klassischen Rentenversicherung jährlich eingelockt.
Im Fondspolicen-Bereich gibt es neben den komplett garantiefreien Tarifen – mit denen sich der Vertrieb nach wie vor schwer tut – Angebote mit Garantiestaffeln. „Die Verbraucher können die Höhe der garantierten Ablaufleistung anteilig festsetzen, zum Beispiel auf 80 Prozent der eingezahlten Beiträge. Der Verzicht auf etwas Garantie erhöht im Gegenzug die Chance auf eine höhere Rente“, erklärt Hauer. Dem Versicherer bleibt so mehr Spiel-raum bei der Kapitalanlage. Er kann einen Teil der eingezahlten Beiträge etwas riskanter und somit chancenorientierter anlegen. „Dies ist gerade in Zeiten niedriger Zinsen unumgänglich, will man mit vertretbarem Aufwand die Versorgungslücke im Alter schließen“, unterstreicht Hauer. Die Angebote der Versicherer ohne traditionelle Garantieelemente sind mittlerweile vielfältig. Auf den folgenden Seiten präsentieren wir einige Anbieter mit ihren Antworten auf das Niedrigzinsniveau.